Lebensfaden.
Kommt der Urmensch stark zu Schaden dann reißt ihm oft der Lebensfaden,
an dem er auch im Leben hängt, bevor der Tod zum Sterben drängt.
Der Urmensch jammert dabei meist, wenn ihm der Lebensfaden reißt,
weil er an dem Leben hing, bis es nicht mehr weiterging.
Natürlich will er im Bestreben gerne etwas weiterleben,
doch das will jeder jederzeit, geistig mit sich selbst im Streit.
Weil auch nicht immer jedermann ständig weiter leben kann,
macht wer stirbt, nach seiner Hatz, dem neuen Leben etwas Platz.
Wer lebt der wird zunächst geboren, wer stirbt der wird im Kult beschworen,
durch den Zeremonienmeister und im Ritus seiner Geister,
die er aus der Tiefe rief, als der Urmensch sanft entschlief,
oder aber, unter Schmerzen, mit viel Wehmut in dem Herzen.
Ist der Lebensfaden kurz, bewahrt er noch vor manchem Sturz,
dann ist der Urmensch jung an Jahren und bewältigt viel Gefahren,
die ihm in der Welt, der rohen, tagein tagaus im Alltag drohen.
Der Urmensch sitzt beim Stamm im Kreis und lebt, sich selber zum Beweis,
in der Sippe die ihm nützt und ihn vor der Umwelt schützt.
Trotzdem ist das Leben karg und die Mühe manchmal arg.
Doch der Lebensfaden hält, solange nicht der Urmensch fällt.
Der Lebensfaden ist noch kurz, beim jungen Urmensch in dem Schurz,
ist noch kräftig und noch fest. Bleibt von dem Leben nur ein Rest,
dann ist der Lebensfaden lang und längst nicht mehr der kurze Strang,
wenn er sich ständig länger dehnt und wenn der Mensch sich danach sehnt,
altgeworden, unter Zwängen, noch ein paar Jährchen dran zu hängen.
Der alte Mensch hat manchen Hänger. Der Lebensfaden dehnt sich länger,
je mehr der Alte drauf besteht, dass sein Leben weiter geht.
Der Faden dehnt sich bis er bricht, wenn der Urmensch nichts mehr spricht.
Der Faden ist nun im gewissen in diesem Leben abgerissen,
weil er auch nicht den stärksten Mann übermäßig halten kann,
während der am Faden zappelt und über seinem Abgrund krabbelt.
Der Lebensfaden hält ein Stück. Solange spricht der Mensch vom Glück.
Tut derselbe Faden brechen, muss er von seinem Unglück sprechen.
Glück und Unglück, ohne Frage, hält sich irgendwie die Waage.
Man kann vom Leben viel berichten und muss doch darauf verzichten.
Der Urmensch, der sich bald verliert, hat zum Glück einst existiert. H. Feisel